Der vierte und letzte Teil dieser Serie beschreibt, was wir tun, wenn doch etwas passiert. In den ersten drei Teilen habe ich beschrieben, wie wir dafür sorgen, dass nichts passiert. Trotzdem bereiten wir uns auf den Fall der Fälle vor.
Die anderen Beiträge dieser Serie finden Sie hier:
Teil 1: Arbeitsschutzorganisation
Teil 2: Sichere Arbeitsbedingungen
Teil 3: Qualifikation für sicheres Arbeiten
Warum muss ich mich auf Notfälle vorbereiten?
Auch wenn wir noch so gute Arbeitsbedingungen geschaffen haben und noch so sicher arbeiten. Dass doch etwas passiert, lässt sich nicht ausschließen.
Die Begründung zu einem Gerichtsurteil des Oberverwaltungsgerichts Münster bringt dieses wunderbar auf den Punkt:
Es entspricht der Lebenserfahrung, dass mit der Entstehung eines Brandes jederzeit gerechnet werden muss. Der Umstand, dass in vielen Gebäuden jahrzehntelang kein Brand ausbricht, beweist nicht, dass keine Gefahr besteht, sondern stellt für die Betroffenen einen Glücksfall dar, mit dessen Ende jederzeit gerechnet werden muss!
https://www.schornsteinfeger-innung-tuebingen.de/artikel-10.html
Das heißt im Klartext, einhundert prozentige Sicherheit gibt es nichts, wir müssen ständig daran arbeiten. Dieses Tun sollte nicht nur aus vorbeugenden Maßnahmen bestehen. Wissen, wie man im Notfall richtig vorgeht, und die nötigen Hilfsmittel verfügbar zu haben hilft, das Schadensausmaß zu begrenzen. Also Personen-, Sach- und Umweltschäden, insbesondere persönliches Leid bei den Betroffenen so gering wie möglich zu halten.
Welche Notfälle muss ich betrachten?
Das kommt mal wieder ganz darauf an. Nämlich auf Ihr Unternehmen:
Arbeiten Sie mit Menschen, können diese oder Sie selbst sich verletzen? Können dabei andere Menschen zu Schaden kommen?
Haben Sie es mit brennbaren Material zu tun? Können explosionsfähige Atmosphären entstehen?
Können bei Ihrer Arbeit Stoffe freigesetzt werden, in Mengen die die Umwelt schädigen? Die in den Boden, ein Gewässer oder die Luft gelangen und dort Schaden anrichten können?
Kann es zu Sachschäden kommen?
Bereiten Sie sich darauf vor, in diesen Situationen schnell und gut reagieren zu können. Konzentrieren Sie sich dabei aber auf das Wesentliche, jeden noch so abwegigen, am grünen Tisch ausgedachten Notfall kann man nicht vorausplanen.
Was passiert in Ihrem Betrieb, Ihrem Umfeld und Ihrer Branche immer wieder mal? Was kann man vernünftigerweise an Notfällen vorhersehen? Diese Fälle planen Sie mit ein. Haben Sie dann noch eine Idee, wie Sie vorgehen können, wenn Ihre eigenen Maßnahmen nicht ausreichen, dann sind Sie gut aufgestellt.
Welche Notfälle sind vernünftigerweise in fast jedem Unternehmen vorhersehbar?
Verletzungen und Unfälle
Überall wo Menschen etwas tun, können diese sich weh tun. So plump sich das anhört, so wahr ist es. Es geht hier nicht um Verschulden oder ähnliches, sondern rein um den Fakt, dass etwas passieren kann.
Feuer
Die Gefahr ist überall vorhanden, erinnern Sie sich an das Gerichtsurteil. Brennbares Material gibt es überall, alle Kunststoffe gehören dazu. Eine Zündquelle findet sich noch bald: ein elektrischer Defekt, ein heiß werdendes Bauteil. Es muss nicht immer die Flamme oder der Funke sein. Das Üble an den meisten Bränden, gerade den eher kleinen, sind die hochgiftigen Rauchgase, die dabei entstehen.
Explosionen
Alle organischen Stäube bilden explosionsfähige Atmosphären, wenn die Konzentration in der Luft innerhalb der Explosionsgrenzen liegt. Bei brennbaren Flüssigkeiten und Gasen ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie explosionsgefährliche Atmosphären bilden können.
Umweltschäden
Hier fallen mit zuerst Mineralölprodukte ein, die auf den Boden gekleckert werden. Der Klassiker ist vermutlich Rasenmäherbenzin. Schädigt das Bodenleben und mit welch kleinen Mengen Öl oder Benzin man gewaltige Mengen an Wasser verschmutzen kann, hat vermutlich jeder mal gehört.
Sachschäden
Sachschäden können unter Umständen größere Folgeschäden nach sich ziehen.
Wie bereite ich mich richtig vor?
Haben Sie die erwartbaren Schadensfälle identifiziert, ist die logische Konsequenz, sich darauf vorzubereiten. Dabei ist nicht zielführend, sich auf jeden noch so unwahrscheinlichen Fall vorzubereiten. Wir können die Kirche getrost im Dorf lassen.
Zur Bewertung des Risikos gehört die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Fall eintritt, und das Ausmaß des Schadens. Beispiel: Zucker brennt gut und kann durchaus eine explosionsgefährliche Atmosphäre bilden. Aber die Zuckerdose neben der Kaffeemaschine?
Nun gibt es Vorsorgemaßnahmen, die rechtlich vorgeschrieben sind. Beispielsweise Ersthelfer und Verbandkästen. Diese können konkret sein, wie mindestens 10 % der Belegschaft sind Ersthelfer (in Bürobereichen 5 %). Diese können unkonkret sein, wie Erste-Hilfe-Material ist in angemessener Menge bereit zu stellen.
Dann gibt es Vorsorgemaßnahmen, die als allgemeingültige Regeln anerkannt sind. Beispielsweise hat man einen Feuerlöscher in greifbaren Nähe, wenn man feuergefährliche Arbeiten ausführt. Oder Ölbindemittel, wenn ein hohes Risiko besteht, dass wassergefährdende Stoffe in ein Oberflächengewässer gelangen.
Welche Maßnahmen zur Notfallvorsorge müssen sein?
Diese Auflistungen, ebenso wie die folgende, sind definitiv nicht vollständig. Sie lassen sich sicherlich von anderen Experten recht einfach in der Luft zerpflücken. Darum geht es nicht. Es geht darum, ein Gefühl dafür zu bekommen, was passieren kann, und den eigenen Betrieb zu bewerten. Deshalb halte ich diesen Beitrag eher einfach und nehme ein gewisses Maß an Oberflächlichkeit in Kauf.
Für unbedingt notwendig – also als Grundausstattung – sehe ich für jedes Unternehmen:
Ersthelfer und Verbandmaterial
Mitarbeiter:innen, die wissen, wie sie Wunden versorgen, Blutungen stillen und Wiederbelebungsmaßnahmen durchführen. Die wissen, was sie können, wann sie Hilfe brauchen und wie sie Hilfe bekommen. Dies sind die wesentlichen Punkte in den Ersthelfer-Lehrgängen.
Mit den vorgegebenen Prozentzahlen soll erreicht werden, dass gemäß des Risikos ausreichend und immer Ersthelfer zur Verfügung stehen. Gleiches gilt für die Anzahl der Verbandkästen. Die Zahl der Ersthelfer kann im Zweifelsfall nicht hoch genug sein.
Für die Menschen ist eine regelmäßige Auffrischung hilfreich, denn sie stehen dann in Notfällen nicht da und wissen nicht was zu tun ist. Bei dem einen oder der anderen sind ja schon einige Jahre vergangen seit dem Ersthelferlehrgang für den Führerschein.
Haben Sie wenig Mitarbeiter, arbeiten Ihre Leute auf Baustellen, vielleicht in kleinen Gruppen? Schicken Sie einfach alle zum Lehrgang.
Brandschutz
Feuerlöscher gehören meiner Meinung nach nicht nur in jeden Betrieb, sondern auch in jeden Haushalt. Allerdings nützen diese auch nicht viel, wenn keiner damit umgehen kann oder sich keiner traut, sie zu benutzen.
Üben Sie mal damit. Wollen Sie sich keinen extra Brandschutztrainer holen, fragen Sie bei Ihrer Feuerwehr an. Oder bilden Sie Mitarbeiter als Brandschutzhelfer aus.
Evakuierung
Wissen Sie und Ihre Leute, wie sie im Fall des Falles in einen geschützten Bereich kommen und wie sie sich dort zu verhalten haben?
Wie alarmieren Sie – woher wissen die Menschen, dass sie jetzt die Beine in die Hand nehmen müssen? Wo geht es lang und wo müssen sie hin? Was tun sie während der Evakuierung und auf dem Sammelplatz. Und wie geht es dort weiter?
Ja – besonders bei wechselnden Einsatzorten wie Baustellen ist es spannend, dies richtig zu organisieren.
Also: erklären Sie Ihren Leuten, wie sie alarmiert werden. Was die Fluchtwege sind und wo der Sammelplatz ist. Hilfreich sind regelmäßige Übungen, die müssen nicht unbedingt „heiß“ sein.
Alarmierung
Organisieren und schulen Sie, wie Ihre Leute an Hilfe kommen: wie alarmieren Sie einen Ersthelfer oder den Kollegen, der mit dem Feuerlöscher umgehen kann.
Wie kommen Sie zu zusätzlicher Hilfe? Hier meine ich externe Hilfskräfte, sprich: Rettungskräfte. Was ist die Notrufnummer (muss ich in der Telefonanlage eine 0 vor der 112 wählen?). Wie kommen die Rettungskräfte an den konkreten Einsatzort, besonders bei unübersichtlichen Anlagen und auf Baustellen?
Eigenschutz
Ein sehr wichtiger Punkt zum Schluss: bei aller Liebe, bei aller Bewunderung für den Einsatz und die Risikobereitschaft der Helfenden: der wichtigste Punkt in Notfallsituationen ist der Eigenschutz. Es ist nichts gewonnen, wenn nachher noch mehr Menschen Hilfe brauchen – oder denen nicht mehr zu helfen ist. So brutal das klingt.
Fazit
Machen wir uns bewusst, dass trotz aller Sorgfalt im Vorfeld immer etwas passieren kann. Überlegen wir uns anhand von Vorschriften, Standards und Erfahrungswerten, was passieren kann. Dann ist es relativ einfach, sich auf die relevanten Notfallsituationen so vorzubereiten, dass durch gezieltes Eingreifen der Schaden in Grenzen gehalten wird.
Zusammenfassung der Serie
Dies ist der vierte und letzte Teil meiner einführenden Serie zum Arbeitsschutz. Ich versuche, in diesen Beiträgen die grundlegenden Informationen zum Arbeitsschutz so rüberzubringen, dass Sie eine Struktur und einen Zusammenhang erkennen. Ich denke, ich habe viel erreicht, wenn für die eine oder den anderen unter meinen geneigten Lesern das Thema Arbeitsschutz greifbarer und ansprechender geworden ist.